Wie vermeiden wir unnötigen Abriss alter Bestandsgebäude und wie schaffen wir Alternativen zu Ressourcen- und CO2-intensiven Neubau? Eines der wichtigsten Themen, der Bauwirtschaft einen kleineren CO2-Fussabdruck zu verpassen, ist die smarte Nachnutzung von bestehender, nicht genutzter Bausubstanz.
Auch für vermeintlich schwierige Immobilien mit langen Leerständen und problematischen Rahmenbedingungen sind schlaue Lösungen gefragt. Eine solche schwierige Immobilie ist die stillgelegte Kraftwerkshalle auf dem ehemaligen Industriegelände des Betonherstellers Dyckerhoff, bei deren imposantem Anblick als erstes die Umnutzung der Tate Modern in London einfällt, wo eine Kraftwerkshalle erfolgreich in ein Museum transformiert wurde. Eine kulturelle Nutzung oder gar Wohnraum sind baurechtlich auf dem ehemaligen Industrieareal am Wiesbadener Rheinufer leider nicht gestattet.
Das Architekturbüro 3deluxe wurde vom Eigner des Areals – der Wiesbadener Stadtentwicklungsgesellschaft SEG GmbH – beauftragt, ein tragfähiges und zukunftweisendes Nutzungs- und Gestaltungskonzept für diese denkmalgeschützte Immobilie der Industriebaukultur zu entwickeln.
BOX-IN-THE BOX WORKSPACE!
Die Architekten von 3deluxe entschieden sich, in die lichtdurchflutete Südhalle des Hallenensembles qualitativ hochwertigen Büroraum zu integrieren. Die beeindruckende Dimension des Raumes mit den typischen Insignien der Industriekultur bietet den idealen Rahmen für eine großstädtische, moderne und hochattraktive Arbeitsatmosphäre.
Das Konzept sieht ein autarkes, freistehendes Innenraumvolumen in der Halle vor, das sowohl den Charakter der denkmalgeschützten Halle erhält als auch einen interessanten Zwischenraum entstehen lässt: Der In-between-Space erlaubt eine attraktive Indoor-Outdoor-Nutzung und generiert einen Klimapuffer, der den Betrieb über alle Jahreszeiten hinweg weniger energieintensiv macht.
Ein modulares System aus einheitlich gestalteten, leichten Office-Boxen in Holzbauweise lässt durch das Stapelprinzip eine beliebige Raumanordnung und Verdichtung zu.
Die Freiflächen zwischen Büroboxen und Hallenfassade dienen als kommunikative Campus-Fläche für eine zeitgemäße Bürokultur: Nischen und Zonen für Pausen, zum Relaxen und Lunchen, Meeting Bereiche für Konferenzen und Co-working, kleine Cafeteria und kleine Sportangebote wie Tischfußball und Workout-Area, Empfang, Lobby und Wartelounge bereichern die Gemeinschaftsfläche und machen das Konzept für jeden potenziellen Mieter hochattraktiv.
Die Staffelung der oberen Geschosse reduziert die Raumtiefe und ermöglicht eine optimale Belichtung der Büroräume sowie der Gemeinschaftsflächen im Erdgeschoss. Die auf diesem Weg entstehenden Terrassen dienen als zusätzliche, flexibel nutzbare Arbeitsbereiche oder für informelle Treffen und Pausen. Gleichzeitig ermöglicht die Terrassierung direkte Blickbezüge zwischen den Geschossen zur Förderung von Kommunikation sowie einer besseren Wahrnehmung des Halleninnenraums als Ganzes.
DAS BESTANDSGEBÄUDE ALS KLIMAHÜLLE
Das dreistöckige Raumcluster steht als autarkes, klimatisch abgetrenntes Volumen in der Halle, was vielerlei Vorzüge hat: die Bestandsfassade muss bei ihrer Sanierung nicht aufwändig gedämmt werden und die Innenfassade der Holz-Glas-Cluster muss nicht die Anforderungen einer Außenfassade erfüllen – weder von der Dämmung noch vom Witterungsschutz. Hierdurch reduzieren sich Erstellungs- und Sanierungskosten und der Betrieb der Büroinnenräume ist durch die Klimahülle sowohl im Sommer wie im Winter weniger energieintensiv, also deutlich CO2-reduziert.
Die serielle, modulare Bauweise der Prefab-Elemente ermöglicht eine kurze, effiziente Bauzeit. Weitere Nachhaltigkeitsaspekte sind die leichte Rückbaubarkeit, die Recyclefähigkeit und die Energieeffizienz des Box-in-the-Box-Systems.
EINGEBUNDEN IN EINEN GRÜNEN OFFICE-PARK
Die Kraftwerkshalle ist eingebunden in das Gesamtkonzept des Rheinufer-Office-Campus, das neben der Sanierung eines denkmalgeschützten Hochhauses auch die Errichtung eines Holz-Hybrid-Hochhauses vorsieht (3deluxe berichtete darüber im letzten Newsletter). Die neu gestaltete Freifläche zwischen den Gebäuden wird ein grüner Campus mit vielfältigen Angeboten, die das Areal am Flussufer zum attraktiven Arbeitsplatz werden lassen: kommunikative Zonen, Sitz- und Entspannungsmöglichkeiten, Picknick-Areas, Orte für kleine Workouts, viele Grünflächen mit Insektenwiese, Bienenzucht und Schutzzonen für Vögel.
Das autoreduzierte Areal bietet weitere Angebote zur Förderung der Mikromobilität wie eine Fahrradwerkstatt, Lastenräder-Service und Aufladestationen. Ein auf dem Holzhochhaus geplantes Dachrestaurant für Mitarbeiter hat seinen eigenen Gemüsegarten und ein Gewächshaus zur Selbstversorgung und steht auch den Mitarbeitern der Kraftwerkshalle zur Verfügung. Ziel ist es, das Gesamtgelände in ein Leuchtturmprojekt für nachhaltige, smarte und zukunftsorientierte Stadtentwicklung zu machen und den Ruf der Stadt Wiesbaden als lebenswertem und zukunftsorientiertem Standort weiter auszubauen.
Typ | Sanierung |
Standort | Wiesbaden, Deutschland |
Jahr | 2022 |
Status | In Bearbeitung |
BGF | 1.220 m² |
Kunde | SEG GmbH |
ELISABETH SCHNEYDER – UBM MAGAZIN, JANUAR 2023
KURIER AT, 17.11.2022